60. Jahrestag der Schuman-Erklärung (9. Mai, 1950)

Vor Kurzem erst haben wir ein wichtiges Jubiläum gefeiert: Vor 60 Jahren lud der französische Außenminister Robert SCHUMAN den deutschen Bundeskanzler Konrad ADENAUER dazu ein mit Frankreich zusammen die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl [EGKS] zu gründen. Dieser Tag markiert den Beginn des europäischen Integrationsprozesses.

Lasst uns dieser beiden Staatsmänner gedenken, die nur fünf Jahre nach der Kapitulation des Naziregimes in einem noch vom Krieg zerrütteten Kontinent Tag für Tag daran gearbeitet haben die Tradition jahrhundertelanger militärischer Auseinandersetzung durch ihre mutige und visionäre Vorstellung eines Europas in Friede und Zusammenarbeit zu ersetzen.

Betrachtet man die Europäische Union aus heutiger Sicht, mit der Griechenlandkrise und der anwachsenden politischen Ernüchterung, stellt sich die Frage was wohl SCHUMAN und ADENAUER in dieser Situation denken würden.

Geben wir uns einen Moment dieser Vorstellung hin:

– As they died respectively in 1963 and 1967, they left a „European Economic Community“ of 6 countries and some 150 M. inhabitants. They would find a „European Union“ of 27 States and 500 M. citizens including the United Kingdom, a reunited Germany, the former dictatorships of Franco and Salazar (Spain and Portugal), three Baltic ex-Soviet Republics, a former Yugoslav Republic (Slovenia), six ex-‚brother countries‘ of USSR (Poland, Hungary, Bulgaria, Romania and Czechoslovakia, today split between the Czech Republic and Slovakia) and traditionally neutral countries like Sweden, Austria and Finland. The fascinating course of History!

– Zum Zeitpunkt ihrer jeweiligen Tode in den Jahren 1963 und 1967, hinterließen sie die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ [EWG] bestehend aus sechs Ländern mit an die 150 Millionen Einwohnern. Jetzt würden sie eine „Europäische Union“ [EU] bestehend aus 27 Mitgliedsstaaten, einschließlich des Vereinigten Königreichs, einem wiedervereinten Deutschland, den ehemaligen Diktaturen Francos und Salazars (Spanien und Portugal), drei baltischen ehemaligen Sowjetrepubliken (Estland, Lettland und Litauen), einer ex-jugoslawischen Republik, sechs ehemaliger „Bruderländer“ der UdSSR (Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und die Tschechoslowakei, die sich heute in die Tschechische Republik und die Slowakei geteilt haben) und der traditionell neutralen Länder wie Schweden, Österreich und Finnland und insgesamt an die 500 Millionen Unionsbürger vorfinden.
Der faszinierende Verlauf der Geschichte!

– Eine weitere Überraschung: Die 12-sternige blaue Flagge ziert fast alle öffentlichen Gebäude und Europa wird nun durch einen Präsidenten vertreten, zurzeit ein Belgier namens Herman VAN ROMPUY. Weder hat er viel Macht, noch gehört er zu den charismatischsten Persönlichkeiten. Dennoch geht er während seiner Amtszeit als europäisches „Staatsoberhaupt“ sehr verständig und behutsam vor und versucht sein Amt inhaltlich auszufüllen.

– Das Europäische Parlament, damals nur ein schwaches Organ mit Beratungsfunktion, hat sich in eine von den Unionsbürgern direkt gewählte Versammlung entwickelt, die nun zusammen mit dem Rat der Europäischen Union, der die Mitgliedstaaten vertritt, in den meisten Belangen Gesetze erlassen kann. Bis vor kurzem lag diese Gesetzgebungskompetenz einzig bei dem Rat der EU.Die Europäische Kommission, das Exekutivorgan der Union (in gewisser Hinsicht die europäische Regierung), ist dem Parlament gegenüber politisch verantwortlich. Dieses wählt den Präsidenten der Kommission, zurzeit José Manuel BARROSO.

– Die Europäische Kommission verwaltet ein Budget von 140 Milliarden € und arbeitet in vielen Gebieten europäische Leitlinien aus.

– Die EU besitzt eine umfassende Gesetzessammlung allgemein anerkannter Rechtssätze (12500 Texte) und 16 der Mitgliedstaaten teilen die gleiche Währung, den €uro.

– Die Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten existieren zum größten Teil nicht mehr, sodass die Unionsbürger sich frei bewegen und niederlassen können wo es ihnen beliebt.

– Zahlreiche junge Menschen sprechen heutzutage eine zweite Sprache und reisen durch Europa mittels Austauschprogrammen wie „Erasmus“ und … „Schuman“. Viele empfinden sich als Europäer.

Eine beeindruckende Entwicklung innerhalb von nur sechs Jahrzehnten nach so viel Nationalismus und so vielen Konflikten.

Wo liegt denn dann aber das Problem? Woher kommen die großen Zweifel an Europa?

Mehrere Erklärungsgründe dazu:

– die durch die Globalisierung und die wirtschaftliche Krise entstandenen Schäden, die Europa scheinbar weder verhindern noch ihnen entgegen wirken kann;

– die Griechenlandkrise die den Euro erschüttert;

– eine zu vorschnelle Erweiterung der Europäischen Union, insbesondere in Bezug auf einige Länder die noch nicht bereit gewesen sind, so wie das mit Rumänien und Bulgarien der Fall gewesen ist;

– die Unfähigkeit der nationalen Staatsoberhäupter das europäische Projekt zu stützen und ihre häufige Tendenz nur nationale Interessen (gem. des „Intergouvernementalismus“) zu schützen, anstatt nach allgemein gültigen Lösungen zu suchen und diese durch die Kommission (gem. der „Gemeinschaftsmethode“) umzusetzen; sie vermitteln eher den Eindruck Europa nur zu erdulden anstatt dieses weiter zu formen; Es werden überhaupt keine Zielrichtungen gegeben.

In einer Welt die sich derzeit zu einer chinesisch-amerikanisch geprägten Gemeinherrschaft entwickelt, die durch regionale Mächte wie Indien und Brasilien ergänzt wird, stellt sich die Frage wie die europäischen Einzelstaaten anders als geeint auf der internationalen politischen Bühne weiterexistieren können.

Es wird nicht weniger Europa benötigt, sondern im Gegenteil, mehr Europa: Eine europäische wirtschaftliche Regierungsgewalt mit beachtlichem Haushaltsrahmen und genügenden Geldmitteln, um in Krisensituationen handeln zu können – In Bezug hierauf wäre die Gründung eines europäischen Währungsfonds eine interessante Idee –; eine allgemein gültige Energiepolitik; eine starke Politik im industriellen Bereich; eine engere Koordination bzgl. der Besteuerung und der Forschung; schlussendlich, ein echtes europäisches Eigenleben in Sachen Politik, anstatt von politischen Debatten, die durch das Beharren auf nationalen Interessen in sich selber ersticken.

Ein Gedanke muss hervorgehoben werden: Solidarität ist und muss das Schlüsselprinzip der europäischen Integration bleiben. Ohne Solidarität hat Europa keine Bedeutung, ohne dieses existiert es nicht. Aus diesem Grunde muss die Union entschieden den Griechen während dieser gegenwärtigen Periode zur Seite stehen.

Aber diese Solidarität hat ein Gegenstück: Selbst-Disziplin bzgl. der Verwaltung des öffentlichen Gemeinguts, der „res publica“. Es ist nicht akzeptabel, dass ein Gliedstaat der Europäischen Union die nach Brüssel übermittelten Zahlen manipuliert und sich mit einer uneffektiven öffentlichen Verwaltung zufrieden gibt, die einer europäischen Demokratie des 21. Jahrhunderts unwürdig ist. In so einem Fall würde das passieren, was auch schon anderswo vorgekommen ist: Der Seriösere wendet sich ab und verweigert die Zahlung.

Es ist an der Zeit die öffentlichen Verwaltungseinrichtungen auf EU-Ebene qualitativ hochwertig zu harmonisieren. Zu diesem Zweck rufen wir zur Gründung eines europäischen Überwachungsorgans über europäische, nationale und lokale öffentliche Ämter auf. Sein Aufgabenbereich läge in der Analyse und Auswertung der Handlungsweise öffentlicher Verwaltungseinrichtungen – insbesondere in Bezug auf die Transparenz von Einstellungsverfahren, Wirksamkeit, Sachlichkeit und Rechtschaffenheit – sowie in der Darbietung von öffentlichen Empfehlungen.

Diese Ansätze zur Verbesserung beziehen sich nicht ausschließlich auf Griechenland und die ehemaligen sozialistischen Staaten. Gerade im lokalen Bereich mancher öffentlichen Verwaltung alter Mitgliedsstaaten bzgl. der Einstellungsverfahren und Arbeitspraxis, ist noch viel Nachholbedarf.

„Roma non fu fatta in un giorno“. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Es wird Zeit in Anspruch nehmen die öffentlichen Verwaltungseinrichtungen der 27 Mitgliedsstaaten, mit ihren unterschiedlichen geschichtlichen Vergangenheiten, qualitativ hochwertig zu harmonisieren. Aber Rom wurde auch nicht ohne Mühe erbaut. Um Voranzuschreiten braucht man Zielsetzungen, Führungsqualität, politischen Willen und Festigkeit.

Lasst uns deshalb niemals aufgeben, lasst euch nicht vom Zweifel an Europa befallen und lasst uns an die Zukunft glauben, an die Kapazitäten und den Willen der neuen Generationen. Lasst uns von unseren nationalen Regierungen verlangen, dass sie mehr Kühnheit und Mut zeigen und sich mehr zur europäischen Sache bekennen.

Philippe Mazuel
Übersetzt aus dem Englisch und Französischen ins Deutsche von Philipp V. NORZ